Text: "Die Straße"

  • Es ist bereits nach elf Uhr abends. Ich sitze allein in der Stube und zappe mich gelangweilt durch die Kanäle an meinem Fernseher. Witzlose Comedyserien, verstaubte Schwarz-Weiß-Streifen, pseudo-politische Talkshows in geselliger Runde und die neusten und schrägsten Charts.
    Ich gähne, das erste Mal an diesem Abend, und schalte zurück auf eine Krimiserie.
    Eigentlich habe ich gar keine Lust weiter zuzuschauen. Ich kann genauso gut jetzt ins Bett gehen und die letzte dreiviertel Stunde dieses Tages im Dunkel an mir vorbeiziehen lassen. Ich kann die Flimmerkiste abstellen und mich zurückziehen, die Wahl steht mir frei. Und dennoch liegt die Fernbedienung schon minutenlang unberührt auf dem kleinen Tisch neben mir.


    Ich bin gelangweilt, aber ich will nicht gehen. Ich will müde, aber ich will nicht schlafen. Also läuft der Fernseher weiter.


    Es liegt nicht mal am Programm, dass ich nicht gehe. Die Serie interessiert mich nicht, aber sie dient als passables Hintergrundgeräusch, während ich meine Gedanken sortiere. Es wird kalt, also krame ich eine Decke neben dem Sessel hervor und lege sie um meinen Oberkörper.
    Der weiche Stoff auf meiner Haut tut gut und für wenige Momente schließe ich die Augen. Ich genieße die Wärme, die sich wie etwas Lebendiges in meinen Körper schlängelt und das Frösteln vertreibt. Meine Atmung wird ruhiger. Bald werde ich endlich müde genug sein um zu schlafen.
    Die Flimmerkiste sucht unterdessen nach dem Mörder oder Betrüger. Ein eintöniges Thema, wie mir heute scheint. Ich versuche mich wieder auf die Decke zu konzentrieren, doch der magische Wohlfühlmoment ist vorbei. Verdammt ärgerlich. Ich seufze leise, als ob mich jemand dabei hören könnte. „Bullshit“, wispere ich und frage mich, warum ich gerade dieses Wort verwende.


    Meine Gedanken führen mich zu der Straße zurück. Zu einer Straße, über die ich fast jeden Tag gehe. Fast täglich laufe ich darauf zu, warte auf vorbeifahrende und abbiegende Autos und Radfahrer, dann gehe ich weiter.


    Schon lange nagt allerdings eine Frage an mir: was würde passieren, wenn ich nicht stehen bleibe? Wenn ich nicht auf die anderen warte?


    Ich stelle mir vor, wie immer auf die Straße zuzugehen. Vielleicht sehe ich aus den Augenwinkeln einen Wagen. Ich kenne seine Farbe nicht, weiß nicht, wer ihn fährt oder wohin die Reise gehen soll. Ich weiß nur, dass ich nicht warten werde. Ich werde einfach auf die Straße treten und auf den Aufprall warten.
    Wird es schnell gehen? Werde ich die Reifen quietschen hören? Den scharfen Geruch von verbranntem Gummi wahrnehmen, bevor das Metall meine Knochen zerdrischt? Und… wird mir irgendjemand helfen? Wird es auch nur einen Menschen interessieren, was mit mir da passiert?
    Ich stelle mir vor, wie das alles wäre. Und das seltsame ist: ich habe keine Angst davor. Nicht einmal vor den Schmerzen, obwohl ich sonst regelrecht wehleidig bin. Aber ich habe keine Angst.


    Die Werbung reißt mich in die Realität zurück. Skandinavische Möbelhäuser. Ein angeblich neues Parfum. Autos. Hygiene fürs Bad. Einkaufstipps für alle Unentschlossenen unter uns.
    Ich ziehe mir die Decke bis unters Kinn. Ich bezweifle, dass ich auch nur irgendeins der angebotenen Dinge vermissen würde, wenn mich der Wagen über den Asphalt wirft. Und noch einmal das berühmt-berüchtigte Möbelhaus. Als ob ich mir nur deshalb gleich morgen ein neues Regal oder Tischbeine zulegen müsste, weil innerhalb von sieben Minuten derselbe Spot zweimal lief. In einer Serienvorschau findet jemand einen Finger im Weinglas. Gut, das ist mal etwas Neues.


    Die Decke wird mir langsam zu warm. Ich schiebe sie achtlos auf die Sessellehne und strecke mich ausgiebig. Mein Nacken schmerzt, ich sitze bereits zu lange im Sessel. Ich lasse ihn ein paar Mal kreisen und lehne mich wieder zurück in die Polster.
    Mit einem Mal fühle ich mich unglaublich allein im Zimmer. In wenigen Minuten bricht ein neuer Tag an und ich sitze in meiner Stube, mit Nackenschmerzen und einer Krimiserie, in der bereits fast alles aufgelöst ist. Draußen höre ich nicht einmal ein Auto vorbeifahren. Die Straßenlaternen brennen nur noch an wenigen Stellen. Schade, dass es nicht gewittert.
    Ich muss niesen und habe das Gefühl, dass irgendetwas in meiner Magengegend reißt. Gesund kann das nicht sein, aber meine Hausärztin sehe ich gleich morgen früh.


    Die Nachrichten beginnen, es ist Mitternacht. Diese Uhrzeit hatte für mich noch nie etwas Magisches oder Mysteriöses. Ich muss wieder gähnen. Ich will nicht schlafen gehen. Will die Straße für heute nicht wiedersehen und mir die Autos vorstellen, die mich treffen könnten. Es macht mir Angst, dass ich keine Angst davor habe. Ich will nicht mit der Angst einschlafen.


    Morgen werde ich die Straße wiedersehen. Die Straße, an die ich schon oft gedacht habe. Und ich weiß nicht, ob ich diesmal stehen bleibe.


    Kurokawa, 00:08, 05.05.10

    (22:13:07) Kurokawa: mich will einer ausm ** unbedingt in seine wohnung bekommen
    (22:13:10) Kurokawa: um zu "reden"
    (22:13:21) Kurokawa: ich glaubs ihm aufs wort O_o

    (22:13:25) Krümel: ja klar... "hallo und da ist mein bett" ist auch geredet. der will doch nur pimpern
    (22:13:59) Kurokawa: an sich störts mich ja nich, is ja n guter ego-pusher - aber der is so himmelschreiend unkreativ :angry_face:
    (22:14:19) Krümel: lol xD deine probleme will ich haben!

  • Das wirkt richtig beklemmend... übers Netz ist es schwer rauszulesen, was da an echten Gedanken drin steckt und was fiktiv ist. Wenn es reine Fiktion ist, dann Hut ab... da bekommt man eine Gänsehaut von. Auch der Bezug zum Fernsehen ist interessant eingebaut. Aber falls da ein wahrer Kern drin sein sollte, wäre der Kummerkasten nicht eher der Ort dafür?

  • Danke für deine Besorgnis, Tai :smiling_face: Aber es geht mir gut. Die Geschichte ist halb und halb, Fiktion und Realität gemischt. Wieviel wovon bleibt jedem Leser überlassen heraus zu finden :winking_face:

    (22:13:07) Kurokawa: mich will einer ausm ** unbedingt in seine wohnung bekommen
    (22:13:10) Kurokawa: um zu "reden"
    (22:13:21) Kurokawa: ich glaubs ihm aufs wort O_o

    (22:13:25) Krümel: ja klar... "hallo und da ist mein bett" ist auch geredet. der will doch nur pimpern
    (22:13:59) Kurokawa: an sich störts mich ja nich, is ja n guter ego-pusher - aber der is so himmelschreiend unkreativ :angry_face:
    (22:14:19) Krümel: lol xD deine probleme will ich haben!

  • Hehe, richtig gute und nette Geschichte, jedoch muss ich noch einmal betonen das es sehr lang ist. :winking_face:
    Dennoch werde ich es lesen. Denn ich bin fast fertig mit der Geschichte. :winking_face:
    Tolle Geschichte echt gut gemacht.
    :smiling_face:

    Das Leben is ein schlechter Witz, und wenn ich herausfinde wer


    ihn erzahlt dann erwurg ich ihn. :thumbs_down: :thumbs_down:



    LG Danny24 :thumbs_up:

  • Perfektion der Melancholie...
    Du spielst mit den Gefühlen deiner Leser, lenkst ihre Gedanken absichtlich in falsche Richtungen und überraschst sie schließlich mit einem philosophischem Ende...


    Graulation, wie machst du das? :confused_face: :confused_face: :confused_face:

  • freut mich, dass es dir gefällt :smiling_face:


    Graulation, wie machst du das?


    hm... ich schreib eigentlich immer frei von der leber weg o_o da gibts nix besonderes^^

    (22:13:07) Kurokawa: mich will einer ausm ** unbedingt in seine wohnung bekommen
    (22:13:10) Kurokawa: um zu "reden"
    (22:13:21) Kurokawa: ich glaubs ihm aufs wort O_o

    (22:13:25) Krümel: ja klar... "hallo und da ist mein bett" ist auch geredet. der will doch nur pimpern
    (22:13:59) Kurokawa: an sich störts mich ja nich, is ja n guter ego-pusher - aber der is so himmelschreiend unkreativ :angry_face:
    (22:14:19) Krümel: lol xD deine probleme will ich haben!

  • Dann hast du unverschämt viel Talent O.o


    Ich glaube, dass diese Szene sich mal (zur hälfte) abgespielt hat, als du mit einer sehr schlechten Zensur nach hause gekommen bist und depri warst...liege ich richtig?

  • danke, aber du liegst absolut daneben mit der vermutung :winking_face:

    (22:13:07) Kurokawa: mich will einer ausm ** unbedingt in seine wohnung bekommen
    (22:13:10) Kurokawa: um zu "reden"
    (22:13:21) Kurokawa: ich glaubs ihm aufs wort O_o

    (22:13:25) Krümel: ja klar... "hallo und da ist mein bett" ist auch geredet. der will doch nur pimpern
    (22:13:59) Kurokawa: an sich störts mich ja nich, is ja n guter ego-pusher - aber der is so himmelschreiend unkreativ :angry_face:
    (22:14:19) Krümel: lol xD deine probleme will ich haben!

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