Text: "Ich habe geträumt"

  • Ich habe geträumt.


    Wir treffen aufeinander und ich will fliehen. Typisches, blödes Reptiliengehirn, Angriff oder Flucht. Für einen Angriff war ich nie stark genug, also werde ich wohl ewig vor dir fliehen. Doch dann fängst du an zu reden und mein Körper scheint in der Bewegung zu erstarren. Ich wollte dich so lange einmal wieder reden hören, deine Stimme in mir hallen lassen. Wie kann ich mir diese Chance entgehen lassen? Die Versuchung ist zu groß, und obwohl mein Herz fast vor Angst platzt drehe ich mich um.


    Du bist genauso wenig ein Adonis wie ich eine zarte Waldnymphe, und doch bist du so perfekt wie ein einzelner Mensch nur sein kann. Für mich warst du das schon immer und ich bezweifle stark, dass sich das in Zukunft ändern wird. Sicher, du hast deine optischen Schwächen genau wie jeder andere, doch waren sie mir nie wichtig genug, um dich zu übersehen oder dich auch nur einen Hauch weniger zu lieben.


    Deine Stimme ist leise, ein einfacher Plauderton fängt mich ein und wiegt mich wie so oft in trügerischer Sicherheit. Dennoch komme ich mir vor wie eine eingeschüchterte Katze. Fast kann ich meine Sehnen in den Beinen spüren, die zum fluchtartigen Sprung gespannt sind. Ich will rennen, oh ja. Das will ich seit Jahren. Man sollte meinen, ich hätte kein gutes Händchen in der Auswahl meines Freundeskreises, wenn ich – sobald ich auf dich treffe – sofort davonlaufen will. Aber welcher Mensch ist schon perfekt?


    Ich antworte knapp, bemühe mich aber, nicht allzu feindselig zu klingen. Ich will dir kein schlechtes Gewissen machen. Du musterst mich still und Eis legt sich in feinen Schichten auf meine Haut. Ich wünschte, du könntest meine Angst wahrnehmen und mich beruhigen. Mir sagen, dass alles gut werden würde. Dass wir einander nie wieder verletzen werden. Dass wir endlich Ruhe finden könnten.


    Du schweigst noch immer, lächelst mich aber jetzt an. Ich erwidere es nicht. Gleichzeitig wünsche ich mir, dass du mich für immer anlächeln könntest. Du beginnst wieder zu reden und ich lausche jedem einzelnen deiner Worte. Deine Stimme bleibt für mich ein Phänomen. Ihr Klang kriecht mir heiß und kalt über den Rücken, wie ein seidenes Laken. Ich zwinge mich dazu, nicht auf meine Arme zu sehen. Ich weiß, dass sich eine feine Gänsehaut darüber ausgebreitet hat.


    Erst jetzt bemerke ich, dass wir uns in einem kleinen, schmutzigen Zimmer befinden. Wir sitzen auf einander zugewandten Stühlen, ohne die Sicherheit eines Tisches dazwischen. Ich nehme keine Fenster oder Türen wahr, dafür ein unablässig tropfendes Waschbecken in der Ecke. Es macht den Eindruck eines Kindergartenzimmers, doch ist mir nicht klar, weshalb ich den Raum so interpretiere. Nichts hier erinnert an eins der Zimmer meines Kindergartens, aber das ist immerhin ein Traum: es spielt keine Rolle, woher ich es weiß. Es ist einfach so.


    Unsere Stühle stehen weit auseinander. Nicht zu beiden Seiten des Raumes, trotzdem liegen mehr als drei Armeslängen zwischen uns und schaffen eine fast greifbare Distanz. Ich würde einiges dafür geben, diese Entfernung zwischen uns zu überbrücken, doch ich habe noch immer Angst. Du scheinst ebenfalls mitnichten geneigt, etwas dagegen unternehmen zu wollen. Ob dir bewusst ist, wie sehr mich dieses Detail quält?


    Du warst immer recht feinfühlig, wenn es um andere Dinge ging. Warum konntest du diese Fähigkeit nicht auf mich anwenden? War ich so kompliziert zu entschlüsseln? Ich dachte, ich wäre immer offen zu dir gewesen. Du kanntest mich fast besser, als ich mich selbst. Doch vielleicht war genau das mein Fehler. Mich für dich angreifbar zu machen. Waren deine Taten wirklich nur ein Versehen oder wolltest du mich wirklich verletzen? Mit der Zeit bin ich mir deiner guten Absichten immer weniger sicher.


    Das alles geht mir durch den Kopf, während du mit einer Leichtigkeit vor dich hin redest, die ich lange nicht mehr gefühlt habe. Es erscheint mir ungerecht, dass du, der mich so lange gequält hat – egal ob unwissend oder wissend – so friedlich und ruhig sein kannst, während in meinem Innern ein Sturm wütet. Einmal mehr möchte ich dich anschreien, aufspringen und meinen Stuhl in deine Richtung werfen. Doch ich bin, leider, kein gewalttätiger Mensch. Ich könnte dir nie Leid zufügen, es würde mir im Endeffekt mehr schaden als dir. Was soll ich also tun?


    Ich tue das, was ich in solchen Situationen immer tue. Ich sehe mit gesenktem Blick zur Seite. Ich will dich nicht ansehen. Will mir nicht vorstellen, was ich dir antun würde, wenn ich nur könnte. Der Gedanke, dich jemals verletzen zu können, erschreckt mich. Ich will es nicht einmal vor meinem geistigen Auge sehen müssen.


    Als ich dich endlich wieder ansehen kann, stehst du plötzlich vor mir. Ich habe nicht bemerkt, dass du aufgestanden und die paar Schritte auf mich zugetreten bist. Ich erstarre in meiner sitzenden Position und wieder kriecht die Angst in mir herauf. Dein Gesicht ist ausdruckslos. Es ist so neutral, dass ich rein gar nichts darin lesen kann. Du streckst deine Hand nach mir aus und wartest darauf, dass ich sie ergreife.


    Deine Hände. Es ist immer wieder unglaublich zu sehen, wie fasziniert man von Kleinigkeiten eines geliebten Menschen sein kann. Ein Blick, ein Lächeln. Das Zucken deines Mundwinkels, kurz bevor du lachst. Die Art, wie der Wind eine Haarsträhne in dein Gesicht weht. Dein Gang. Schmerzhaft wird mir bewusst, wie sehr ich dich in all der Zeit vermisst habe. Als hätten wir uns nur durch eine Wand aus Glas beobachtet. Wir waren da, das wussten wir, und doch waren wir so weit voneinander entfernt, dass etwas in mir zerbrach, wann immer ich dich sah.


    Zögernd ergreife ich deine Hand. Deine warme Haut nach so langer Zeit zu spüren ist zugleich fremd und tröstlich. Du ziehst mich von meinem Sitz und schaust mich an. Dein durchdringender Blick forscht in meinem Gesicht nach Anhaltspunkten, Antworten auf eine Frage, die du nicht offen stellst. Du dirigierst mich näher zu dir, näher als ich dir je war. Ich bin ehrlich überrascht, als du mit einem Mal deine Arme um mich und deinen Kopf auf meine Schulter legst. Umarmungen waren bei uns rar, wie auch sonst sämtliche Berührungen.


    Ohne zu zögern erwidere ich die Umarmung und es fühlt sich gut an. Richtig. Ich presse unsere Körper aneinander, als würden sie gleich eins werden. Deine Hand streichelt meinen Rücken und ich spüre eine Träne an meiner Wange. Es war schwer ohne dich. Auch jetzt ist es noch schwer, doch deine Berührung macht es ein wenig leichter. Ich weiß, dass ich dich wahrscheinlich nie wieder so halten werde, also konzentriere ich mich völlig auf dich. Deinen Atem, dein Geruch, der Druck deiner Arme um meine Hüfte.


    Du drehst den Kopf ein kleines Stück zu mir. Ich denke, dass du mir etwas sagen willst, doch du schweigst. Dann fühle ich deine Lippen an meinem Hals. Erneut lähmt mich die Angst, doch ich halte dich nicht zurück. Zu lange habe ich es mir gewünscht. Meine Hand tastet sich zu deinem Hinterkopf, während du mit der Zunge über meine Halsschlagader tastest. Ich weine noch immer. Die Intimität dieser Situation nimmt mir den Atem.


    Dann erwache ich und liege im Bett. Allein, wie so oft. Dein Besuch war tröstlich. Ich dachte, du hättest mich vielleicht vergessen. Draußen hat es wieder zu schneien begonnen. Wie an dem Tag, an dem unsere Wege sich trennten.


    Kurokawa, 05:27, 31.12.2010




    Euch allen heute Abend einen schönen Übergang ins neue Jahr :smiling_face:

    (22:13:07) Kurokawa: mich will einer ausm ** unbedingt in seine wohnung bekommen
    (22:13:10) Kurokawa: um zu "reden"
    (22:13:21) Kurokawa: ich glaubs ihm aufs wort O_o

    (22:13:25) Krümel: ja klar... "hallo und da ist mein bett" ist auch geredet. der will doch nur pimpern
    (22:13:59) Kurokawa: an sich störts mich ja nich, is ja n guter ego-pusher - aber der is so himmelschreiend unkreativ :angry_face:
    (22:14:19) Krümel: lol xD deine probleme will ich haben!

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