Kurzgeschichte: "alte Gedanken kennen keine Schranken" oder "Ewigkeiten"

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    „Das Leben ist eine Aneinanderreihung von Zufällen, in der wir Menschen ahnungslos von einer Gegebenheit zur anderen stolpern, ohne zu wissen, was uns genau erwarten wird. Hoffend, dass es nicht schlimmer wird, gehen wir voran, nehmen den Mut zusammen und stehen zu dieser Dummheit, daran zu glauben, dass alles einen Sinn hat, dass alles gut wird.“ Lese ich, als ich mein altes Tagebuch öffne und wie zufällig die folgenden Seiten aufschlage.


    Auf ihnen lese ich verwundert und leicht schmunzelnd einige Zeilen meines einstigen, unkreativen und kindlichen Ichs. Das muss Ewigkeiten her sein.
    Mir fällt es schwer ein paar Wörter zu erkennen, so undeutlich habe ich geschrieben, und ehrlich hat sich das nicht sehr gebessert. Aber das, was ich problemlos lesen kann, stimmt mich nachdenklich.
    Es sind Gedanken, die ich selbst Heute noch manchmal aufgreife, mal mehr, mal weniger, doch sie sind nie verschwunden, waren immer irgendwo, irgendwie in meinem Kopf. Ich finde das etwas beängstigend, mit was für Gedanken man seine Zeit „totschlägt“, wenn man jung ist, und auch später, wenn man nicht mehr so jung ist, sich ein Kind oder einen Jugendlichen nennen zu dürfen.
    Mit dem Vergehen der Jahre ins Land, dem Verstreichen der Zeit in einem Leben wachsen auch die Zweifel und Gedanken.
    Und wenn ich weiter lese, in diesem kleinem Schatz, den ich zufällig gefunden habe, als ich aufgeräumt habe, was ich schon seit Ewigkeiten (aus wie vielen Ewigkeiten besteht so ein Leben, wenn es bisher gar nicht so viele Jahre waren?) vorhatte, da beginne ich zu überlegen, wie viele Menschen eigentlich ihre kostbare Zeit mit nichtigen Dingen, die ihr Alltag geworden sind, zu füllen.


    “Die einen wanken unsicher von einer Kneipe zur nächsten, als wäre jeder einzelne Schritt eine Wallfahrt zum Pilgerort, zu einer der zahllosen Stätten, in der dir Vergessenheit gegeben werden kann. Unsicheren Ganges tappen sie hinein, nehmen den Geruch von billigem Fusel und Rauch in sich auf. Zuhaus’, endlich zuhause. Die nächste Gegebenheit wartet, während man sich eine Zigarette anzündet, um deren Gift in sich aufzunehmen. Alles was du dir schuldest sind ein paar Atemzüge... und vielleicht ein Pfefferminzbonbon.
    Benommen sitzen sie an der Theke, winken dem Mann dahinter zu, um sich einen weiteren Schuss zu setzen.
    Alkohol als Fluss des Lebens. Die ultimative Antwort auf unklärbare Probleme.
    Wer will sich schon an ein Wochenende erinnern, den Filmriss als ultimative Freiheit empfunden. Die Woche geht weiter... die Aneinanderreihungen gehen weiter... doch der Zahnradrhythmus der Routine kommt noch längst nicht zu seines Endes Ruh'.“


    Ich schüttle den Kopf, als sich meine Gedanken, gleich des sich ewig bewegenden Zahnrades in seiner nicht enden wollenden Bewegung, überschlagen.
    Die Welt, denke ich, ist voll von seltsamen Menschen.


    “Und die anderen flüchten sich ängstlich vor sich selbst, hin zu anderen Menschen, in fremde Umarmungen, die ihnen das geben könnten, was ihnen selbst immer fehlte. Als ob sie das Geräusch ihres inneren Weinens, weil sie so einsam sind, oder sich zumindest so fühlen, übertönen könnten, wenn sie in den Armen von anderen Menschen liegen, nachdem man seinen Körper, und sich selbst irgendwie auch, verraten hat.
    Sinnlose Berührungen, die sich trotzdem immer so echt anfühlen, es schmeckt nach echter warmer Haut, hinter der wirkliches warmes Fleisch ist, voll mit warmen Blut.
    Jedes Mal.
    Und niemals finden sie die Liebe, die sie suchen, weil sie vielleicht selbst nie gelernt haben, was Liebe ist, was sie bedeutet, diese Liebe mit dem Herz.“


    Leicht betrübt schaue ich auf die Seiten in meinem alten Tagebuch, blättere um auf die nächsten Seiten, deren Schriftzüge in ihrem Ausdruck immer weniger Sinn machen. Aber der Inhalt berührt auch jetzt noch mein Inneres.
    Die Menschen, denke ich, lieben oder hassen sich selbst doch am meisten.


    „Andere wiederum streifen im Dunkel der Gassen einer üblen Gegend umher, stets auf der Suche, um sich ihrer Aggression, ihrem angestautem Selbsthass und diese Unzufriedenheit mit sich selbst, in Form von sinnloser Gewalt zu entledigen. Stets auf der Suche nach Schwächeren, deren körperliche Kraft der eigenen völlig unterlegen ist, um sich daran, diese Tatsache außer Acht gelassen, gekonnt ausgeblendet, zu erfreuen, welche Macht sie haben. Das Gefühl von Fäusten, die sich in fremde Körper bohren genießend, die folgenden Geräusche von Schmerzen und Leid belächelnd, sogar belachend, ziehen sie weiter, um sich jene zu suchen, die ahnungslos in eben diesen Gassen spazieren. Im Schutz der Dunkelheit.
    Nirgendwo herrscht das, was vor einem Gericht selbstverständlich sein sollte, mehr als hier. Ob Mann, ob Frau, ob schwarz, ob weiß, ob groß, ob klein, ob Christ, ob Jude. Hier sind sie alle gleich.
    Nur gehasste Opfer derer, die eigentlich nur sich selbst hassen, Menschen als Spiegel der eigenen Seele. In bizarrer Weise ein selbst verletzendes Verhalten ohne persönlichen Schmerz, ohne jegliche Besserung.“


    Ich lege das Büchlein auf meinen Schoß und schaue aus dem Fenster. Mir ist, als wären Stunden vergangen, seitdem ich aufgeräumt habe, doch draußen scheint der große Feuerball, den alle Sonne nennen immer noch hell und wärmend. Doch in mir fühle ich bereits die Nacht, wie sie heran bricht, sich frisch auf meinen Körper legt und mich beruhigt. In mir fühle ich, wie die Zeit vergeht, die Aneinanderreihungen sich in Ausmaß, Bewegung und Intensität verändern, doch ihr Rhythmus an sich bleibt der gleiche, vollendet sich selbst stets im gleichen Takt.


    „Doch zu welchen Menschen kann ich mich zählen? Lassen sich überhaupt Menschen in irgendwelche, von Menschenhand erschaffene Gruppen oder Karteien zwängen, nur um sagen zu können, man kenne jemanden?
    Aber könnte ich das von mir jemals behaupten?
    Kann ich sagen, ich versuche zu vergessen, jenes Elend, welches sich durch mein Leben kriecht. Vergessen, dass mein Leben im Grunde gar nicht schlecht ist, nur um dann später zu sagen, zu klagen und zu jammern, wie schlecht es mir doch eigentlich geht? Das ist paradox.
    Kann ich von mir behaupten, dass ich nach fremder Wärme im Leben suche, weil ich selbst doch schon längst kalt bin, vielleicht nie warm war? Dass ich mich vielleicht flüchte vor der Einsamkeit, um mir während der Flucht nicht einsam vorzukommen, was ich im Grunde nicht einmal bin. Aber wie gern suhlt man sich im Selbstmitleid, einer Form der Liebe, der Selbstliebe, die man empfinden kann, ohne mit dem Herz zu fühlen? Das ist paradox.
    Kann ich dann also von mir behaupten, ich hasse mich selbst, weil ich mich vielleicht gar nicht lieben kann, weil es mir viel zu gut geht und ich das gar nicht ertrage, oder will, aber viel zu feige bin, es an mir auszulassen, was der Grund wäre, dass ich andere so gern verletzte, nur um dann deren Leid als mein eigenes zu empfinden? Das ist paradox.“


    Und während ich in diesem Gedanken versinke wird mir bewusst, dass ich vielleicht noch gar nicht reif genug bin, mich selbst zu kennen.
    Denn, denke ich, wer sagt mir, dass ich nicht noch ein Kind bin?
    Ich blättere um und finde nach wenigen Seiten nur noch leeres Weiß, das mich kalt anstarrt, mit seinen rauen Augen und mit diesem Ausdruck im Gesicht, diesem Verlangen, diesem Wunsch, endlich einen Sinn zu bekommen.


    Ich gebe den leeren Seiten den Sinn, den sie sich ersehnen, insgeheim wie ich, und schreibe weiter.
    Nach Ewigkeiten schreibe ich mein altes Tagebuch weiter.


    Wer weiß wann ich es wieder liegen lasse, und wie viele Ewigkeiten ich dann brauche, um wieder aufzuräumen, nur um es dann wieder zu finden, wieder darin zu lesen und um zu denken, dass es ja eine Ewigkeit (es scheint unzählige davon zu geben, das hängt wohl an dem Blick des Betrachters) her sein müsse, dass ich dieses Tagebuch das letzte Mal gesehen habe, und ich auf diese Weise dann wieder mal mein Zimmer, so wie schon jetzt, nicht aufräumen werde.


    „Die Ewigkeit wartet.“

  • So nu hab ichs aber gelesen :D
    Interessante Gedanken die du beschreibst und mir so bzw so ähnlich auch nicht unbekannt.


    Imho stehen da einige Existentielle Fragen die wir im Endeffekt nie wirklich beantworten können.
    Meiner Erfahrung nach ist auch nicht die Antwort das was wir suchen... oder nicht das womit wir uns im Endeffekt zufrieden geben... denn letztendlich finden wir uns damit ab das die Fragen nach einem "Warum?" z.B. irgendwann mehr und mehr an Bedeutung verliert.
    Ich denke da setzt dann die Individualität ein und "bestimmt" mit wann wie wo warum etc dieser Punkt kommt... Bleibt nur zu hoffen das die Fragen die einen nahezu Wahnsinnig machen irgendwann mal still sind ;).


    Ich werd mal nochjemanden auf den Thread poken maybe mag sie des ja auch lesen... denke das würde ihr gefallen ^^

  • interessanter text, (und man kann ihn gut verstehen :winking_face: ) der viele, für die meisten so alltägliche, gewohnheiten und gegebenheiten aus irgendwie anderem blickwinkel betrachtet.
    der schluss ist irgendwie beängstigend, was mir den text sehr sympathisch macht. dus chließt nicht mit irgendeiner erkenntnis ab, sondern mit neuen fragen und gedankenanstößen, was doch - jedenfalls in gewissem maße - zum anchdenken anregt.


    aber, ich hab noch was zu meckern^^ ich finde deine betonung teilweise seltsam.. o.o vll liegts ja an mir
    *drück*


    it is a tale
    Told by an idiot, full of sound and fury,
    Signifying nothing.

    William Shakespeare, Macbeth V/5

  • Entschuldige, Bisa, ach, Hikage :angry_face:
    dass ich dich auf den Text geschubst habe *hüstel*
    Nunja,


    trotzdem vielen Dank für eure Kommentare ^^
    Hikage (ich wollte schon wieder Bisa sagen..): Ich finde, deine Sichtweise stimmt mit der meinen ziemlich überein. Das ist etwas beängstigend :winking_face:


    Kagome: Was mich interessiert: Warum ist der Schluss beängstigend? o.o Das würde ich gern wissen *grins*


    Und meine Stimme macht halt manchmal kurze Pausen, ist aber besser als gekünstelt hochdeutsch am Telefon, findest nicht? :winking_face:

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